NAJU-Position zum Alpenschutz

Die Alpen sind neben dem Wattenmeer der größte zusammenhängende Naturraum Europas, der verhältnismäßig 
unzerschnitten und gering beeinflusst ist. Obwohl sie nur 2 % der Fläche des Kontinents bedecken, beherbergen sie rund 40 % der Pflanzen- und Tierarten Europas [1]. Darunter sind viele an die Standortbedingungen im Hochgebirge speziell angepasste Arten. Mindestens 450 Pflanzenarten und noch viel mehr Tierarten sind sogar (sub)endemisch, d. h. sie kommen (fast) ausschließlich in den Alpen vor [2], was die europaweite Bedeutung der Alpen für die biologische Vielfalt unterstreicht [4].
Rund ein Drittel des deutschen Anteils der Alpen steht in Form von sogenannten Natura-2000-Gebieten[1] unter europarechtlichem Schutz. Die Zone „C“ des „Bayerischen Alpenplans“, ein seit 1972 gültiges landesplanerisches Instrument, umfasst etwa 43 % des deutschen Alpenanteils und schützt somit zusätzliche 10 % Fläche vor Eingriffen durch u. a. Bauvorhaben [5].
Die vielen verschiedenen natürlichen Ökosysteme sowie Landnutzungssysteme im Alpenraum erbringen zahlreiche wertvolle Ökosystemleistungen, darunter die Regulierung von Klima und Wasserhaushalt, die Bindung von Kohlendioxid in Böden, Mooren und Wäldern, der Schutz vor alpinen Naturgefahren[2] und die Bereitstellung von natürlichen Ressourcen wie Holz und hochwertigem Trinkwasser.


Was die Alpen jedoch zu einem der bekanntesten Gebirge der Welt macht, sind ihre zugänglichen und ästhetisch reizvollen Natur- und Kulturlandschaften, die einzigartige Naturerlebnisse ermöglichen und von hohem Wert für menschliche Gesundheit, Wohlbefinden, Erholungs- und Freizeitnutzung sind – die Basis für vielfältige Tourismusangebote. Aus den Ökosystemleistungen ziehen sowohl die Gesellschaft allgemein als auch unterschiedliche wirtschaftliche Sektoren wie Tourismus, Forst- und Landwirtschaft sowie Energie und Transport Nutzen, und das nicht nur im Alpenraum und dessen Vorland, sondern auch in weit entfernten Regionen in Europa [6].


Der hohen Bedeutung der Alpen für den Naturschutz und für die natürlichen Ressourcenkreisläufe stehen vielfältige, durch menschliche Aktivitäten bedingte Nutzungsansprüche, Belastungen und Bedrohungen gegenüber: Durch die kontinuierliche Ausweitung von Verkehrswegen, Siedlungs- und Gewerbegebieten sowie von großtechnischer Infrastruktur für Tourismus, Energieproduktion und -transport und durch ungezügelten Verbrauch natürlicher Ressourcen gehen naturbelassene Landschafts- und Naturräume zusehends und unwiederbringlich verloren oder werden wesentlich beeinträchtigt. Folgende Zahlen und Fakten zur Verdeutlichung:


•    Die Bevölkerungszahl im Alpenraum hat sich seit 1900 von 8,5 Millionen auf aktuell rund 14 Millionen vergrößert, dazu kommen jährlich rund 95 Millionen Mehrtagesgäste und 60 Millionen Tagesgäste für Erholung, Freizeit und Sport hinzu [7]. Entsprechend ist seit vielen Jahren ein unstillbarer Hunger nach bebaubarer Fläche zur Errichtung von Wohnraum, Gewerbebauten, Infrastruktur- sowie Ver- und Entsorgungsanlagen festzustellen [vgl. 8].


•    Mindestens 3,5 % der Gebirgsfläche der Alpen sind in Wintersportgebiete umgewandelt worden [9]. Der schneegebundene Tourismus bzw. Sport erzeugt besonders große Eingriffe in und Belastungen für die Natur, u. a. durch den Bau und die Präparierung von Pisten (Geländeanpassungen und Beschneiung), sowie die Einrichtung der zugehörigen Infrastruktur (z. B. Speicherteiche, Leitungen, Aufstiegshilfen sowie Lawinenschutz) [vgl. 10]. Obendrein verschlingt der Betrieb Unmengen an Ressourcen: Alpenweit sind derzeit mehr als 80.000 Schneekanonen in Betrieb und beschneien knapp 100.000 Hektar Skipisten. Der jährliche Wasserverbrauch liegt bei rund 280 Millionen Kubikmetern, was der dreifachen Menge von München entspricht; und der Stromverbrauch erreicht rund 2.100 Gigawattstunden, so viel wie 500.000 Haushalte jährlich verbrauchen [11]. Damit sind die Alpen das am dichtesten erschlossene Gebirge der Welt, auf das mit jährlich rund 158 Mio. Skifahrtagen 45 Prozent des weltweiten Anteils am Skisport entfallen [12].


•    Der Wintermassentourismus hat darüber hinaus einen wesentlichen Anteil an der Verkehrsproblematik: Denn eine Besonderheit der Alpenregion ist das hohe Aufkommen im Freizeit- und Reiseverkehr, das in den Hauptferienzeiten regelmäßig zu Verkehrsüberlastungen und Staus führt. Durchschnittlich 84 Prozent der Urlaubsreisen in die Alpen werden mit dem Auto unternommen [13]. Obendrein kommt der alpenquerende Transitgüterverkehr auf der Straße, dessen Transportaufkommen sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht hat: Von knapp 15 Millionen Tonnen im Jahr 1980 stieg dieses bis 2023 auf rund 158 Millionen Tonnen, welches sich auf mehr als 11 Millionen schwere Güterfahrzeuge verteilt [vgl. 14, 15].


•    Tier- und Pflanzenarten in den Alpen sind jedoch nicht nur dem direkten Verlust an Lebensraum, sondern auch den von menschlichen Nutzungsformen (v. a. Freizeit und Sport) ausgehenden Stör- und Barrierewirkungen ausgesetzt, die den nutzbaren Anteil des geeigneten Lebensraums zusätzlich verringern und somit zu ihrer Verdrängung bis hin zu lokalem Aussterben führen [vgl. 9, 16, 17, 18].


•    Zu den großen Landschaftsveränderungen zählt außerdem, dass im letzten Jahrhundert die meisten großen alpinen Flüsse eingedeicht und kanalisiert worden sind und bis heute große Mengen Wasser abgeleitet werden. Alpenweit sind 77 bzw. 42 % der Flüsse in ihrer Hydrologie bzw. Morphologie beeinträchtigt, nur 14 % in einem hervorragenden ökologischen Zustand [19].


•    Schließlich zeigen sich die Auswirkungen der durch den Menschen verursachten Erderwärmung in den Alpen viel stärker als in niedrigeren Höhenlagen, etwa am rapiden Rückgang der Gletscher, dem Auftauen von Permafrostboden und der Verkürzung der Schneebedeckungsdauer [20]. Die vergleichsweisen schnellen Veränderungen der Lebensräume und klimatischen Bedingungen sowie die daraus resultierenden Veränderungen der zwischenartlichen Konkurrenzverhältnisse setzen Arten unter Druck und veranlassen diese zu vertikalen Ausbreitungs- bzw. Rückzugsbewegungen [vgl. 21, 22]. Insbesondere für in der alpinen und nivalen Höhenstufe lebende (teils endemische) Arten wird das Gefährdungs- und Aussterberisiko durch den klimawandelbedingten Lebensraumverlust als besonders hoch eingeschätzt [23]. Modellrechnungen zufolge könnten zwischen 19 und 55 % der alpinen, subalpinen und montanen Pflanzenarten bis 2100 mehr als 80 % des derzeit für sie noch geeigneten Lebensraums verlieren [24].


In den Alpen zeigen sich allgemein gegenwärtige Trends in den Bereichen Verkehr, Flächenverbrauch und Ressourcennutzung teilweise stärker als in den übrigen Regionen Deutschlands; und aufgrund der hohen Sensibilität des Naturraums sind deren negativen Wirkungen auf den Naturhaushalt umso schwerer wiegend. Aus diesem Grund wird hiermit nicht nur auf die Forderungen der Positionspapiere zu Mobilitätswende, Verkehrspolitik sowie Biologischer Vielfalt verwiesen, sondern mit den folgenden Forderungen auch explizit die sektorspezifische Problemlage in den Alpen aufgegriffen.


NAJU-Kernforderungen:
1. Schutzgebietskulisse: Eine konsequente und kompromisslose Erhaltung und Erweiterung der Schutzgebietskulisse und Gewährleistung einer hohen Schutzqualität
1.1. Die NAJU begrüßt die bisherigen Schritte und derzeitigen Bemühungen von Politik und Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland und vom Freistaat Bayern rund um die Alpenkonvention und die Europäische Alpenstrategie (EUSALP), insbesondere auch die eingeführten Formate zur Beteiligung junger Menschen [25]. Zugleich erwartet die NAJU von den politischen Entscheidungsträger*innen in allen Gebietsebenen, dass sie bestehende gesetzliche Instrumente zum Schutz der Alpen – v. a. den bayerischen Alpenplan in seiner ursprünglichen Fassung [26] – ausnahmslos beachten und erhalten und sich für die Umsetzung sowie Weiterentwicklung und Stärkung der Alpenkonvention und der EUSALP einsetzen [27]. Die Ziele der Alpenkonvention und die ihrer Protokolle und Erklärungen [28, 29, 30] sind entsprechend vollständig in nationale Pläne und Programme zu übernehmen und zu konkretisieren [vgl. 3].
1.2. Die derzeitige Gebietskulisse zum Schutz von Lebensräumen und Arten deckt die aus Naturschutzsicht schutzwürdigen Teile der Alpen nicht vollständig ab [31]; daher sind im deutschen Anteil des Perimeters der Alpenkonvention zusätzliche Natura-2000-Gebiete und Naturschutzgebiete, mindestens ein strenges Naturreservat (IUCN-Kategorie Ia) oder Wildnisgebiet (IUCN-Kategorie Ib) sowie mindestens ein weiterer Alpen-Nationalpark und ein Biosphärengebiet auszuweisen (auch unter Berücksichtigung von infolge des Klimawandels stattfindenden bzw. zu erwartenden Arealverschiebungen von Arten) und zudem wichtige Wanderachsen zwischen Schutzgebieten bzw. für den Biotopverbund geeignete Flächen unter Schutz zu stellen, eigentumsrechtlich zu sichern und ggf. zu renaturieren [vgl. 3, 21, 22, 23, 31, 32]. Letzteres ist vor allem für die verbliebenen und ehemaligen Wildflusslandschaften sowie alpinen Moore anzustreben. Die Kernlebensräume störungsempfindlicher Tierarten (v. a. Haarwild, Greifvögel und Raufußhühner) sind als Ruhezonen mit entsprechenden gesetzlichen Regelungen und Sanktionsmöglichkeiten für Verstöße auszuweisen [vgl. 33].
1.3. Durch den fortwährenden Strukturwandel in der Landwirtschaft kommt es zum Rückzug der Grünlandnutzung in alpinen „Ungunstlagen“ (ertragsarme, steile und / oder hoch gelegene Standorte), während die Nutzung in „Gunstlagen“ (ertragreiche Standorte) tendenziell intensiviert wird [9]. Beides führt zum Verlust naturschutzfachlich wertvoller Offenland-Lebensräume und ihrer daran gebundenen Flora und Fauna. Daher kommt der finanziellen Förderung der Almbewirtschaftung nach naturschutzfachlichen Kriterien, inklusive aktiver Behirtung und Weideführung, eine wichtige Bedeutung zu [vgl. 4 und 29: Protokolle „Berglandwirtschaft“ sowie „Naturschutz und Landschaftspflege“ der Alpenkonvention]. Es gilt daher, einen möglichst großen Anteil der zahlreichen zugewachsenen Almen wieder beweidbar zu machen und ihre Offenhaltung dauerhaft zu sichern und außerdem überall, wo es aus naturschutzfachlicher Sicht sinnvoll ist und Schutzfunktionen des Waldes nicht beeinträchtigt werden, die bedrohte Nutzungsform Waldweide zu stärken [vgl. 34, 35].
1.4. Um innerhalb der Schutzgebietskulisse eine hohe Qualität der Ökosysteme und des Schutzstatus zu erreichen sowie dauerhaft und ohne Abstriche zu gewährleisten, müssen auf mehreren Ebenen folgende Maßnahmen konsequent umgesetzt werden:
1.4.1. Die Wissenslücken über die biologische Ausstattung sind durch entsprechende Kartierungen zu schließen und der Zustand der biologischen Vielfalt in einem mehrjährigen Intervall regelmäßig zu erfassen. Zudem ist es wichtig, die Auswirkungen von verschiedenen Arten der Freizeitnutzung und des Sports (insbesondere neu aufgekommene Trends) sowie des Klimawandels auf sensible Arten detailliert zu untersuchen, um auf solider Datengrundlage Schutzmaßnahmen ableiten zu können [vgl. 18, 23, 29: Protokoll „Naturschutz und Landschaftspflege“ der Alpenkonvention; 33].
1.4.2. Vorliegende naturschutzfachliche Planungen (z. B. Management- sowie Pflege- und Entwicklungspläne) und Programme (Artenhilfsprogramme, Arten- und Biotopschutzprogramm Bayern) sind zeitnah umzusetzen und auf Basis neu gewonnener Daten und Erfahrungen regelmäßig zu aktualisieren [vgl. 3].
1.4.3. Dem stark gestiegenen und weiter steigenden Nutzungsdruck für Freizeit, Sport und Erholung (an Land, auf Gewässern und in der Luft) muss mit Lenkungskonzepten bzw. Nutzungsvereinbarungen sowie personellem Ausbau, Entfristung und Verstärkung der Schutzgebietsbetreuung / Ranger*innen begegnet werden [vgl. 3, 18, 33, 36]. Wo es die Sensibilität der zu schützenden Lebensräume und Arten erfordert, sind bestimmte Nutzungsformen auch per Verordnung zeitlich und räumlich rechtlich wirksam einzuschränken oder komplett zu verbieten [vgl. 29: Protokoll „Tourismus“ der Alpenkonvention; 33].
Insbesondere in sensiblen Gebieten, in denen die Tragekapazität durch den Andrang der Besucher*innen mehrfach im Jahr ausgereizt oder überschritten wird und sanfte Lenkungskonzepte (Wegbegrenzung, Hinweisschilder, persönliche Aufklärung und Sensibilisierung durch Gebietsbetreuung, „Nudging“ etc.) mehrheitlich ignoriert und willentlich missachtet werden, müssen zusätzlich konsequente und wirksame Gegenmaßnahmen (z. B. Beschränkung der Personenanzahl pro Zeiteinheit oder monetäre Zugangshürden, Kameraüberwachung) ergriffen werden, um nachhaltige Störungen, Beeinträchtigungen und Zerstörungen der Schutzgüter zu unterbinden [vgl. 37, 38, 39, 40, 41]. 
Vor allem derartig schwere Fälle verdeutlichen die Notwendigkeit, die Vollzugsdefizite im hoheitlichen Naturschutz zügig zu beheben: In solchen übernutzten sensiblen Gebieten sind Verstöße gegen Schutzgebietsverordnungen sowie das allgemeine Naturschutz-, Artenschutz-, Tierschutz-, Jagd- und Umweltschadensrecht konsequent und ausnahmslos polizeilich und gerichtlich zu verfolgen, wofür entsprechende spezielle hauptamtliche Stellen sowie Einheiten / Strukturen zu schaffen sind. Zur Erhöhung der Abschreckungswirkung sind die Bußgeldsätze und Strafmaße entsprechend deutlich anzuheben.


2. Raumplanung: Eine konsequente Berücksichtigung von Naturschutzinteressen bei der alpinen Raumplanung, insbesondere hinsichtlich der Infrastruktur zur Energieerzeugung und zum Schutz vor Naturgefahren
2.1. Die alpine Raumplanung muss einem Gesamtkonzept auf wissenschaftlichen, objektiven Grundsätzen folgen (vgl. Europäische Alpenstrategie). Dabei müssen Naturschutzinteressen an erster Stelle berücksichtigt werden und sind im Rahmen von Abwägungen hoch zu gewichten, denn die alpine Naturlandschaft ist weder kompensierbar noch erneuerbar [vgl. 9]. Die vielfach bestehenden Defizite bei der Überwachung naturschutzfachlicher Auflagen in Genehmigungsbescheiden einzelner Projekte und Maßnahmen sind durch entsprechende Ressourcen in den zuständigen Behörden (Personalstärke und Fachkompetenz) zu beheben [vgl. 3, 33].
2.2. Nutzbarer Boden in den Alpen ist, bedingt durch die Topografie, mehr noch als in den tieferen Lagen ein kostbares Gut. Flächenverbrauch bzw. Bodenversieglung sind daher sowohl auf lokaler als auch auf regionaler Ebene durch rechtlich verankerte quantitative Vorgaben zu begrenzen sowie auch durch eine Priorisierung der Nutzungen nach qualitativen Aspekten („Bodenfunktionen“) räumlich zu steuern und zu minimieren. Die Umsetzung Flächen sparender Ansätze ist durch Anreize bzw. bessere rechtliche Rahmenbedingungen zu fördern [vgl. 29: Protokoll „Bodenschutz“ der Alpenkonvention; 42, 43].
2.3. Die Errichtung von Wasserkraft- und Pumpspeicherkraftanlagen im Alpenraum ist vom überwiegenden öffentlichen Interesse auszunehmen. Die letzten verbliebenen Abschnitte von alpinen Wildflüssen sind unbedingt zu erhalten und vor Beeinträchtigungen durch Wasserkraftwerke und Ausleitungen für sonstige Zwecke zu bewahren bzw. zu renaturieren. Bei Ausleitungskraftwerken muss so viel Wasser im Fluss verbleiben, dass der gute ökologische Zustand des Gewässers erhalten oder erreicht wird. Neue Pumpspeicherkraftwerke in den Alpen sollten nur dort zulässig sein, wo bestehenden Stauseen genutzt werden können. Querungsbauwerke und andere Barrieren der Gewässerdurchgängigkeit, die keinen Zweck mehr erfüllen, sind rückzubauen [vgl. 44, 45].
2.4. Zum Schutz vor alpinen Naturgefahren sind nach Möglichkeit naturbasierte Lösungen technischen Lösungen vorzuziehen. Um steigenden Risiken durch Massenbewegungen und Lawinen vorzubeugen, sollten die in den Waldfunktionsplänen als Boden- und Lawinenschutzwald ausgewiesenen Bereiche vollständig in die Zone C des „Bayerischen Alpenplans“ aufgenommen werden [vgl. 5].

3. Belastungen durch Tourismus, Sport und Freizeit verringern, Eingriffe für deren Infrastruktur verhindern
3.1. Das Kapital des Tourismus in den Alpen ist die intakte und unzerschnittene Natur- und Kulturlandschaft. Der klimabedingte Anstieg der Schneefallgrenze und die verminderte Schneesicherheit dürfen nicht dazu führen, dass weitere Gletscher und noch unberührte Landschaftskammern mit neuen Wintersportgebieten erschlossen und für den Tourismus intensiv genutzt werden.
3.2. Die NAJU fordert vielmehr, Förderprogramme für Gemeinden und Regionen überwiegend anhand von Kriterien für – vor allem im ökologischen Sinne – nachhaltigen und sanften Tourismus umzugestalten und umweltschädliche Subventionen, z. B. für Skilifte und die Pisten-Beschneiung, einzustellen [vgl. 11]. Überwiegend auf schneegebundenen Wintertourismus ausgerichtete Gemeinden, in denen der Weiterbetrieb der Wintersport-Infrastruktur ohne Subventionen und ohne Pistenbeschneiung im Zuge der Klimaerwärmung unrentabel ist oder dies absehbar wird, sind bei der Transformation zu sanften, Natur schonenden Tourismusangeboten (z. B. als zertifiziertes Bergsteigerdorf oder Mitglied im Netzwerk „Alpine Pearls“) zu unterstützen [vgl. 46]. Stillgelegte touristische Infrastrukturen sind zurückzubauen und zu entsiegeln, wo eine Umnutzung nicht möglich oder erwünscht ist [vgl. 9 und 29: Protokoll „Tourismus“ der Alpenkonvention].


4. Mobilitätswende: Belastungen durch motorisierten Individualverkehr und Gütertransport im Rahmen einer konsequenten Verkehrswende verringern und ÖV-Angebot ausbauen
4.1. Um den Trend der zunehmenden Belastung durch den motorisierten Individualverkehr und Gütertransport in den Alpen zu stoppen und besser noch umzukehren, ist eine konsequente Mobilitätswende dringend erforderlich: Konzepte bzw. rechtliche bindende Abkommen zur Reduktion und Verlagerung auf umweltverträgliche Verkehrsträger sowie zur Dekarbonisierung [15 und 29: Protokoll „Verkehr“ der Alpenkonvention] sind umzusetzen und weiterzuentwickeln und Fachplanungen (z. B. der Bundesverkehrswegeplan) nach diesen auszurichten.
4.2. Infrastruktur und Transportangebot des Öffentlichen Personennahverkehrs und -fernverkehrs sowie Ausstattung und Beförderungskapazität der Fahrzeuge sind auszubauen bzw. zu verbessern und besser sowohl an die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung als auch der Gäste anzupassen. Wo ein Ausbau nicht zielführend ist, sollen bedarfsgerechte „On-Demand“-Beförderungsmodelle wie Rufbusse angeboten werden.
4.3. Zudem braucht es (mehr) attraktive grenz- / verbundübergreifende Ticket-Angebote für junge Menschen, mit denen bestenfalls im gesamten Alpenraum alle Bahnen und Busse genutzt werden können.


5. Strategie für klimaneutrale und klimaresiliente Alpen konkretisieren und umsetzen
5.1. Um die Treibhausgasemissionen im Alpenraum entsprechend den rechtlich verbindlichen Reduktionszielen bis 2050 zu verringern, sind in allen Sektoren Maßnahmen zur Energieeinsparung und Transformation hin zur Klimaneutralität erforderlich [vgl. 49], wobei diese jedoch nicht gegen Ziele des Naturschutzes ausgespielt werden dürfen (siehe Nr. 1 und 2). Um unerwünschte Auswirkungen auf empfindliche Alpenlandschaften und deren biologische Vielfalt zu vermeiden, sind somit eine gute Abstimmung und eine sorgfältige Abwägung von Zielkonflikten erforderlich [vgl. 50].
5.2. Zugleich müssen die Risiken und Folgen des Klimawandels bei langfristigen Entscheidungen mwitberücksichtigt werden, um die negativen Auswirkungen auf die Ökosysteme, die Gemeinschaften und die lokale und regionale Wirtschaft so gering wie möglich zu halten [49].

Zitierte Quellen:

[1] Umweltbundesamt: Struktur der Flächennutzung: https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/flaeche/struktur-der-flaechennutzung, aufgerufen am 20.09.2024.
[2] IPCC (2023): Summary for Policymakers. In: Climate Change 2023: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, H. Lee and J. Romero (eds.)]. IPCC, Geneva, Switzerland, pp. 1-34, https://doi.org/10.59327/IPCC/AR6-9789291691647.001, aufgerufen am 20.09.2024.
[3] Boenigk, Jens (Hrsg.) (2021): Boenigk, Biologie. Der Begleiter in und durch das Studium. 1. Aufl. 2021. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
[4] Yang, G., Ryo, M., Roy, J., Hempel, S. and Rillig, M.C. (2021): Plant and soil biodiversity have non-substitutable stabilising effects on biomass production. Ecology Letters, 24: 1582-1593. https://doi.org/10.1111/ele.13769, aufgerufen am 20.09.2024.
[5] Seibold, S., Gossner, M.M., Simons, N.K. et al. (2019): Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers. Nature 574, 671–674.

[6] BirdLife International (2022): State of the World’s Birds 2022: Insights and solutions for the biodiversity crisis. Cambridge, UK: BirdLife International.
[7] Becker, N., Muchow, T., Schmelzer, M. & Oppermann, R. (2023): AgrarNatur-Ratgeber – Arten erkennen - Maßnahmen umsetzen – Vielfalt bewahren – Klima schützen (Hrsg. Stiftung Rheinische Kulturlandschaft), Bonn.
[8] Naturschutzbund Deutschland (2021): Minimierung des Pestizideinsatzes in Deutschland. Positionspapier. Online: https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/landwirtschaft/pestizidpolitik/210-414-pestizid-position-nabu.pdf, aufgerufen am 20.09.2024.
[9] Deutscher Fachverband für Agroforstwirtschaft (DeFAF) e.V. (2022): Agroforstwirtschaft - die Kunst, Bäume und Landwirtschaft zu verbinden. Online: https://agroforst-info.de/wp-content/uploads/2022/12/2022_DeFAF_Broschuere_3-web.pdf, aufgerufen am 20.09.2024. 
[10] https://www.praxis-agrar.de/pflanze/ackerbau/agroforstwirtschaft, aufgerufen am 21.08.2024.
[11] https://www.umweltbundesamt.de/themen/landwirtschaft/umweltbelastungen-der-landwirtschaft/bodenbearbeitung#einfuhrung, aufgerufen am 21.08.2024.
[12] https://www.bmz.de/de/service/lexikon/bodendegradation-14120, aufgerufen am 21.08.2024.
[13] Montgomery DR and Biklé A (2021): Soil Health and Nutrient Density: Beyond Organic vs. Conventional Farming. Front. Sustain. Food Syst. 5:699147. https://doi.org/10.3389/fsufs.2021.699147, aufgerufen am 20.09.2024.
[14] https://www.bpb.de/themen/globalisierung/welternaehrung/192384/die-bedrohungen-der-ernaehrungssicherheit/#node-content-title-1, aufgerufen am 21.08.2024.
[15]  Poeplau, Christopher & Don, Axel (2015): Carbon sequestration in agricultural soils via cultivation of cover crops – A meta-analysis. In: Agriculture, Ecosystems & Environment, Volume 200, Pages 33-41, online unter: https://doi.org/10.1016/j.agee.2014.10.024, aufgerufen am 22.09.2024.
[16] https://www.stmelf.bayern.de/mam/cms01/landentwicklung/dateien/01_auerswald_vormittags_neu.pdf,  S.5, S.21, aufgerufen am 22.09.2024.
[17] https://www.lebendigeerde.de/index.php?id=portrait_123, aufgerufen am 20.09.2024.
[18] BfN: Studie zur Auswirkung des Verordnungsentwurf der EU-Kommission zu neuen genomischen Techniken in Bezug auf Pflanzen in der Entwicklung: https://www.bfn.de/aktuelles/studie-zur-auswirkung-des-verordnungsentwurf-der-eu-kommission-zu-neuen-genomischen, aufgerufen am 21.08.2024.
[19] FAQs zu den Neuen Gentechniken. Online: https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/nachhaltiges-wirtschaften/biooekonomie/gentechnik/30649.html, aufgerufen am 21.08.2024.
[20] Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.) (2022): Gentechnik, Naturschutz und biologische Vielfalt. Grenzen der Gestaltung. Positionspapier. Bonn. Online: https://www.bfn.de/sites/default/files/2022-10/2022-gentechnik-naturschutz-biologische-vielfalt-bfn.pdf, aufgerufen am 20.09.2024.
[21] Umweltbundesamt (2021): Ammoniakemissionen in der Landwirtschaft mindern - Gute Fachliche Praxis.
[22] Richardson et al. (2023): Earth beyond six of nine planetary boundaries.
[23] Capdevila-Cortada, M. (2019): Electrifying the Haber–Bosch. Nat Catal 2, 1055.
[24] https://www.naju.de/über-uns/positionen/erneuerbare-energien-2/, aufgerufen am 21.08.2024.
[25] Umweltbundesamt (2024): Beitrag der Landwirtschaft zu den Treibhausgas-Emissionen. Online: https://www.umweltbundesamt.de/daten/land-forstwirtschaft/beitrag-der-landwirtschaft-zu-den-treibhausgas#treibhausgas-emissionen-aus-der-landwirtschaft, aufgerufen am 21.08.2024.
[26] Naturschutzbund Deutschland (2023): Es geht: Wie wir unsere Ernährung sichern und gleichzeitig die Natur und das Klima schützen können. NABU-Statement basierend auf einer CAPRI-Modellierungsstudie. Online: https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/landwirtschaft/230113-nabu_flaechennutzungsstudie.pdf, aufgerufen am 20.09.2024.
[27] Heinricht-Böll-Stiftung (2020): Agrar-Atlas: Daten und Fakten zur europäischen Landwirtschaft. Online: https://www.boell.de/sites/default/files/2022-01/Boell_agraratlas2019_III_V01_kommentierbar_0.pdf, aufgerufen am 22.09.2024.
[28] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) (2021): Faire Erzeuger*innenpreise in der Landwirtschaft. Online: https://www.bund.net/service/publikationen/detail/publication/faire-erzeugerinnenpreise-in-der-landwirtschaft/, aufgerufen am 22.09.2024.
[29] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/953408/umfrage/pachtpreise-fuer-landwirtschaftlich-genutzter-flaechen-in-deutschland/, aufgerufen am 21.08.2024. 
[30] Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. (2023): Agrarstrukturgesetze: Eigentumsvielfalt erhalten und bäuerliche Betriebe sichern. Positionspapier zur Regulierung des Bodenmarktes. online unter: 2023_Positionspapier_Agrarstrukturgesetze_web.pdf (abl-ev.de), aufgerufen am 20.09.2024.
[31] https://www.abl-ev.de/apendix/news/details/gemeinwohlorientierte-verpachtung, aufgerufen am 21.08.2024.
[32] Tölle, von Rechenberg, Mühling (2022): Studie zur Einführung einer progressiven Grunderwerbsteuer zur Regulation des landwirtschaftlichen Bodenmarkts im Zusammenspiel mit weiteren Instrumenten - Rechtstechnische Umsetzbarkeit, online unter: https://www.abl-ev.de/fileadmin/user_upload/Studie_prog._Grunderwerbsteuer_einseitig_2022_03_10., aufgerufen am 20.09.2024. 
[33] Umweltbundesamt (2023): UBA empfiehlt 0% MwSt. auf pflanzliche Grundnahrungsmittel: https://www.umweltbundesamt.de/uba-empfiehlt-0-mwst-auf-pflanzliche, aufgerufen am 21.08.2024.
[34] https://www.bundestag.de/resource/blob/689794/f9a81939f03094a07ff4dfc2e492085a/W-5-020-20-pdf-data.pdf, aufgerufen am 21.08.2024.
[35] Bio, öko, regional: Welche Bio-Siegel wirklich bio sind: https://www.bund.net/massentierhaltung/haltungskennzeichnung/bio-siegel/, aufgerufen am 21.08.2024.

[36] Urban Farming: So sinnvoll sind Gemüse und Obst vom Dach: https://www.quarks.de/umwelt/landwirtschaft/so-sinnvoll-ist-gemuese-und-obst-vom-dach/, aufgerufen am 21.08.2024.

[37] Vertical Farming – Landwirtschaft in der Senkrechten: https://www.landwirtschaft.de/wirtschaft/beruf-und-betrieb/trends-und-innovationen/vertical-farming-landwirtschaft-in-der-senkrechten, aufgerufen am 21.08.2024.

[38] Aquaponik – Fisch- und Pflanzenzucht unter einem Dach: https://www.landwirtschaft.de/wirtschaft/beruf-und-betrieb/trends-und-innovationen/aquaponik-fisch-und-pflanzenzucht-unter-einem-dach, aufgerufen am 21.08.2024.

Beschlossen auf der Bundesdelegiertenversammlung der NAJU am 20. September 2025 in Berlin.
Die Nummerierung der einzelnen Punkte bedeutet keine Priorisierung. Wir verweisen auf die anderen Positionspapiere der NAJU und auf die Positionen des Naturschutzbundes (NABU).

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