Abschnitt Hochgebirge Alpen
Die Alpen sind neben dem Wattenmeer der größte zusammenhängende Naturraum Europas, der verhältnismäßig unzerschnitten und gering beeinflusst ist. Obwohl sie nur 2 % der Fläche des Kontinents
bedecken, beherbergen sie rund 40 % der Pflanzen- und Tierarten Europas . Die vielen verschiedenen natürlichen Ökosysteme sowie Landnutzungssysteme im Alpenraum erbringen zahlreiche wertvolle
Ökosystemleistungen, aus denen die Gesellschaft allgemein und wirtschaftliche Sektoren großen Nutzen ziehen – nicht nur im Alpenraum und dessen Vorland, sondern weit darüber hinaus . Darunter
zählen die Regulierung von Klima und Wasserhaushalt sowie die Bereitstellung von ästhetisch reizvollen Natur- und Kulturlandschaften, die einzigartige Naturerlebnisse ermöglichen und von hohem
Wert für menschliche Gesundheit, Wohlbefinden, Erholungs- und Freizeitnutzung sind.
Dieser hohen Bedeutung der Alpen stehen vielfältige, durch menschliche Aktivitäten bedingte, Nutzungsansprüche, Belastungen und Bedrohungen gegenüber. Durch ungezügelten Verbrauch natürlicher
Ressourcen und die kontinuierliche Ausweitung der Infrastruktur für Siedlungen, Gewerbe, Tourismus, Energieproduktion und -transport, sowie durch stellenweise maßlose Übernutzung für Tourismus,
Freizeit und Sport und nicht zuletzt durch den menschengemachten Klimawandel gehen naturbelassene Landschafts- und Naturräume in den Alpen zusehends und unwiederbringlich verloren oder werden
wesentlich beeinträchtigt . Zwar sind deutschlandweit, wie auch alpenweit, immerhin knapp 30 % der Fläche unter gesetzlichen Schutz gestellt, dennoch bilden diese keinen
uneingeschränkt sicheren Rückzugsort für die Natur da auch hier menschliche Aktivitäten stattfinden, die nicht effektiv reguliert sind .
Daher fordern wir:
1. Schutzgebietskulisse: Eine konsequente und kompromisslose Erhaltung und Erweiterung der Schutzgebietskulisse und Gewährleistung einer hohen
Schutzqualität
a. Bestehende gesetzliche Instrumente zum Schutz der Alpen sind ausnahmslos zu beachten und zu erhalten. Die Ziele der Alpenkonvention sowie die ihrer Durchführungsprotokolle und
Erklärungen sind vollständig in nationale Pläne und Programme zu übernehmen und darin zu konkretisieren.
b. Die Lücken in der bestehenden Schutzgebietskulisse sind mit der Sicherung und Unterschutzstellung weiterer naturschutzfachlich wertvoller Gebiete zu schließen, u. a. mit den
Kernlebensräumen störungsempfindlicher Tierarten und für den Biotopverbund geeigneten Flächen.
c. Dem stark gestiegenen und weiter steigenden Nutzungsdruck für Freizeit, Sport und Erholung (an Land, auf Gewässern und in der Luft) muss mit zielgruppengerechten
Sensibilisierungs- und Lenkungskonzepten bzw. Nutzungsvereinbarungen sowie personellem Ausbau, Entfristung und Verstärkung der Schutzgebietsbetreuung begegnet werden.
2. Raumplanung: Eine Priorisierung von Naturschutzinteressen bei der alpinen Raumplanung, insbesondere hinsichtlich der Infrastruktur zur Energieerzeugung und zum Schutz vor
Naturgefahren
a. Die alpine Raumplanung muss einem Gesamtkonzept basierend auf wissenschaftlichen, objektiven Grundsätzen folgen. Dabei müssen Naturschutzinteressen an erster Stelle berücksichtigt
werden und sind im Rahmen von Abwägungen hoch zu gewichten.
b. Der Flächenverbrauch ist sowohl auf lokaler als auch auf regionaler Ebene durch rechtlich verankerte, quantitative Vorgaben zu begrenzen und die Umsetzung flächensparender Ansätze
durch Anreize bzw. bessere rechtliche Rahmenbedingungen zu fördern.
c. Die letzten verbliebenen Abschnitte von alpinen Wildflüssen sind unbedingt zu erhalten und vor Beeinträchtigungen durch Wasserkraftwerke und Ausleitungen für sonstige Zwecke zu
bewahren.
3. Belastungen durch Tourismus, Sport und Freizeit verringern, umweltschädliche Eingriffe für deren Infrastruktur verhindern
a. Der klimabedingte Anstieg der Schneefallgrenze und die verminderte Schneesicherheit dürfen nicht dazu führen, dass weitere Gletscher und noch unberührte Landschaftskammern als
neue Wintersportgebiete erschlossen und für den Tourismus intensiv genutzt werden.
b. Förderprogramme für Gemeinden und Regionen sind überwiegend anhand von Kriterien für, vor allem im ökologischen Sinne, nachhaltigen und sanften Tourismus umzugestalten, dabei sind
insbesondere umweltschädliche Subventionen für, z. B. für Skilifte und die Pisten-Beschneiung einzustellen.
4. Mobilitätswende: Belastungen durch motorisierten Individualverkehr und Gütertransport im Rahmen einer konsequenten Verkehrswende verringern und ÖV-Angebot
ausbauen.
Um den Trend der zunehmenden Belastung durch den motorisierten Individualverkehr und Gütertransport in den Alpen zu stoppen und besser noch umzukehren, ist eine konsequente Mobilitätswende
dringend erforderlich. Infrastruktur, Transportangebot und -kapazität des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs im Alpenraum sind zu verbessern und entsprechend den Mobilitätsbedürfnissen
von ansässiger Bevölkerung und von Gästen auszubauen. Insbesondere für junge Menschen sind attraktive grenz- / verbundübergreifende Ticket-Angebote zu schaffen.
5. Strategie für klimaneutrale und klimaresiliente Alpen konkretisieren und umsetzen
Zur Erreichung der rechtlich verbindlichen Emissionsreduktionsziele bis 2050 sind in allen Sektoren des Alpenraums Maßnahmen zur Energieeinsparung und Transformation hin zur Klimaneutralität
nötig, wobei diese jedoch nicht gegen Ziele des Naturschutzes ausgespielt werden dürfen und somit gute Abstimmung und eine sorgfältige Abwägung von Zielkonflikten erforderlich sind. Zudem sind in
allen Sektoren die Risiken und Folgen des Klimawandels bei langfristigen Entscheidungen mitzuberücksichtigen.
[1] Generaldirektion Umwelt der Europäische Kommission (2010): Natura 2000 in der alpinen Region. Herausgegeben vom Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg, 16 S.
URL:
https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/9a738f76- c937-478d-b720-1562a53385e4 [letzter Aufruf am 17.08.2025].
[2] Marzelli, S., Riedel, M., Savaşçı, G., Neumann, C. & Szücs, L. (2018): Ökosystemleistungen – Ein Konzept für den Alpenraum. Studie im Rahmen des INTERREG-Projekts „Alpine Space – AlpES“.
München, 51 S. URL:https://www.alpine-space.eu/wp-content/uploads/2022/09/Alpine_ecosystem_services_concept.zip [letzter Aufruf am 17.08.2025].
[3] Wessely, H. & Güthler, A. (2015): Alpenpolitik in Deutschland – Anspruch und Realität. Im Auftrag des Bundes Naturschutz in Bayern e.V. , Nürnberg. Bund Naturschutz Forschung, Heft 8, 151
S. URL: https://www.bund-naturschutz.de/fileadmin/Bilder_und_Dokumente/Themen/Alpen/BN_Forschung_Alpenpolitik_in_Deutschland.pdf [letzter Aufruf am 17.08.2025].
[4] Ringler, A. (2017): Skigebiete der Alpen: landschaftsökologische Bilanz, Perspektiven für die Renaturierung. Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt (81/82): 29 – 130.
[5] Paul, I. (Hrsg., 2004): Freizeitaktivitäten im Lebensraum der Alpentiere –Konfliktbereiche zwischen Mensch und Tier. Mit einem Ratgeber für die Praxis. Haupt, Bern, 516 S.
[6] Spehn, E. & Körner, C. (2017): Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur in den Alpen. Natur und Landschaft (9/10): 407 – 411.
[7] Broggi, M., Jungmeier, M., Plassmann, G., Solar, M. & Scherfose, V. (2017): Die Schutzgebiete im Alpenbogen und ihre Lücken. Natur und Landschaft 92 (9/10): 432 – 439.
[8] Stadler, K. (1996): Naturschutz und Erholung – Rechtsprobleme im Spannungsfeld zwischen Naturschutz und Erholung unter besonderer Berücksichtigung der bayerischen Rechtslage. Schriften zum
Umweltrecht (72): 1 –378 S. Duncker & Humblot, Berlin.
Beschlossen auf der Bundesdelegiertenversammlung der NAJU am 20. September 2025 in Berlin.
Die Nummerierung der einzelnen Punkte bedeutet keine Priorisierung. Wir verweisen auf die anderen Positionspapiere der NAJU und auf die Positionen des Naturschutzbundes (NABU).